Dienstag, 20. März 2018

Gut gemeint ist nicht gut gemacht!

Eine Antwort auf den Artikel von Markus Decker in der ZEIT
http://www.zeit.de/2018/12/markus-decker-osten-westen-entfremdung

Einleitung:
Immer wieder stolpere ich über solche und ähnliche Worte. Der Text ist gut geschrieben, ohne Zweifel, aber genau dieser sehr feinsinnige Text offenbart erneut die tiefen Gräben, die zwischen Ost und West bisweilen bis heute existieren. Der Text strotzt von fatalen Fehleinschätzungen, von Fehlern, von einfach falschen Annahmen, dass ich mich regelrecht gezwungen sehe, da mal eine Antwort zu schreiben.

Mich hat es von Dresden nach Dortmund verschlagen. Mit meiner Partnerin bin ich nun stolze 16 Jahre zusammen und sie ist ein gebürtiges Ruhrpott-Kind. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls war ich 22 und meine Reise danach hat mich durch halb Europa geführt, ehe ich hier in Dortmund zur "Ruhe" kam. Mein Spruch damals, kurz nach der Wende lautete: "Zuerst bin ich Sachse, dann Europäer, dann ne Weile nix und dann bin ich vielleicht Deutscher." Daran hat sich bis heute nicht viel verändert.

Nun zum Artikel:
Ja, diesen latenten Rechtsradikalismus gab es zu DDR-Zeiten schon immer. Er wurde nur fein säuberlich unter den Teppich gekehrt, so dass das auch keiner mitbekommen konnte. Du erwähnst Rostock und Hoyerswerda, vergisst aber den Blick in die alte Heimat, zum Beispiel nach Solingen zu richten. Das nervt und zeugt von der typischen "Ich bin besser als ihr" -Mentalität, auch wenn das ganz sicher nicht so gemeint ist. Jedoch bewegen wir uns hier nicht ausschließlich in einem Universum der Fakten, hier geht es ganz besonders um Gefühle, auf denen inzwischen genug herumgetrampelt wurde.

Du bist, 1992, aus deiner gutbürgerlichen und gesicherten Heimat in den Osten gegangen. Wohlwissend, allzeit in die alte Heimat zurückkehren zu können, ohne einen großen Nachteil für Dich in Kauf nehmen zu müssen. Die einzige Veränderung für Dich war lediglich der Ort an dem Du wohnst und arbeitest, mehr nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber alle DDR-Bürger inzwischen eine Geldentwertung hinter sich, ein gänzlich neues Gesellschaftssystem, zuhauf geschlossene Betriebe und damit Arbeitslosigkeit und viele, viele Dinge mehr.

Was viele bis heute nicht mal im Ansatz begriffen haben oder gar wissen: Im Osten herrschte nach der Wende eine gewisse Form von Anarchie und das teils bis weit in die 2000er Jahre hinein! Denn, was zu DDR-Zeiten undenkbar war, konnte man nun endlich tun. So war zum Beispiel jeder noch so kleine Autobahnparkplatz mit mindestens einer Imbissbude ausgestattet. An den großen Fernverkehrsstraßen wurde oft jeder große Platz mit einer Feldküche, mit meist sauleckeren Eintöpfen, besetzt. Die wurden fast ausnahmslos alle regelrecht platt gemacht. So wie man es die Jahre zuvor auch mit den anderen Betrieben gemacht hat, die aus der DDR heraus hätten existieren können, aber nicht durften, weil sie ein Dorn im Auge des Westens waren. Ich erinnere hier nur an DKK in Scharfenstein, die den ersten FCKW-freien Kühlschrank entwickelt hatten, der vom Westen als Bedrohung des freien Marktes angesehen wurde. Dieses Gefühl der Ossis: "Hee, wir sind doch nicht so schlecht wie man sonst über uns schreibt", war schon bemerkenswert. Eine gewisse Form von Selbstmotivation, die durch den Westen ganz einfach zerstört wurde. Denn es ging ja ums Geschäft, nicht um den Aufbau Ost!

Das Problem, was alle westlich geprägten Mitbürger oft haben, wir haben mehr über Euch gelernt als Ihr über uns. Ich muss das mal so ganz einfach sagen. Es gab in Geographie nicht den berühmten weißen Fleck auf der Karte, wir wussten schon sehr genau, wo Stahlstandorte oder Erdöl waren. Wir kannten das System "BRD" im Prinzip, wenn auch nur theoretisch. Diese Theorie jedoch war oft der Anlass dafür, dass diese Ex-DDR-Bürger nach der Wende oft die schlimmeren Kapitalisten waren. Denn sie hatten ja gehört und auch gelernt, dass das so "normal" sei. Also ich meine das mit der Ausbeutung usw. Und noch mal, es herrschte Anarchie im Osten. Denn Gesetze waren ja von dem einen auf den anderen Tag nicht mehr existent, die DDR war ja faktisch 1990 aufgelöst worden. Dass es nach dem 3. Oktober neue Gesetze gab, nun das scherte kaum jemanden, es herrschte ja "Meinungsfreiheit" und "Demokratie", was auch immer das bedeuten möge, denn jeder im Osten hatte ein anderes Verständnis dazu entwickelt. Und genau das hat ein großer Teil wörtlich genommen, man tat was man für richtig hielt, denn man war ja jetzt "frei"!

Und ja, wir kannten viele Dinge nicht. Als da zum Beispiel wären: Stalin, Judentum, Israel. Ja nicht einmal die Kirche gab es so richtig, war sie ja ein Dorn im Auge der Herrschenden.

Ein weiteres witziges Beispiel: Wie lange hielt sich eigentlich das Gerücht, dass Geschwindigkeitskontrollen per Schild vorher angekündigt werden müssen?! Und ja, es gibt diese Schilder, meist an großen Einfahrtstraßen in Großstädten, die tatsächlich vor den Starenkästen warnen sollen. Und ja, es gab so einige, die genau das geglaubt haben. Denn man war ja jetzt "frei"! Du erkennst den Unterschied in der Definition "Freiheit", der zwischen Ost und West herrschte?

Keiner der Westbürger hat heute noch auf dem Schirm, wie wir Ossis alle zu den Volkskammerwahlen 1990 verschaukelt worden sind! Putin würde man heute Wahlmanipulation vorwerfen, unser damaliger "Volkskanzler" Kohl hat diese Wahlmanipulation aber ganz gezielt, mit einer Masse an Geld, angefacht und überhaupt erst möglich gemacht! Darf ich deswegen mal an diese "Allianz für Deutschland" erinnern?! Lug und Betrug vor und nach den Wahlen. Nach der Bundestagswahl 1990 dann massive Steuererhöhungen statt blühender Landschaften. Eine Treuhand, die bar jeder Vernunft, das Vermögen aller in die Hände weniger transferierte. Das alles unterstützt von einem, wie wir heute wissen, völlig korrupten System, das sich von Lobbyisten steuern lässt, statt dem Wohl des Volkes zu dienen. Schau Dir mal solche Dokumentationen an wie "Beutezug Ost" (45min). Dir wird übel werden, welchen Schaden die damalige Regierung uns allen(!) zugefügt hat!

Man möge bitte die Blauäugigkeit der Ossis entschuldigen, auch ich bin davon ausgegangen, dass mit dem Einzug von westlichen Werten wie Demokratie, Freiheit und Chancengleichheit, alles besser würde. Wir hofften, wir wären frei von Gängelei und könnten uns nun so entwickeln wie wir wollten. Das Gegenteil war leider der Fall.

Und heute? Das vierte Mal hintereinander haben wir eine Kanzlerin, die nur auf dem Papier christlich und ein Ossi ist. Wir hatten zwischenzeitlich einen ostdeutschen Pfarrer als Bundespräsidenten. Und? Was hat es uns allen genutzt? Ist irgendeine Form von Verständigung untereinander eingetreten? Nein, die Gräben wurden immer tiefer und breiter.

Und nun passieren völlig unerklärliche Dinge.

Ich erinnere mich noch ganz genau an ein Buch, welches Anfang 1990 durch den halben Osten die Runde machte. Es war endlich die lang erhoffte "Freiheit", alles lesen zu dürfen und zu können. Und es waren Dinge, die man zu DDR-Zeiten niemals in die Hände bekommen hätte. Meine ganze Familie hatte nämlich plötzlich eine Bertelsmann Buchclub Mitgliedschaft. Und im Osten wurde damals viel gelesen, schon zu DDR-Zeiten. Und endlich gab es ein schier unfassbares Angebot an allen möglichen Büchern. Reiseliteratur, Romane, Geschichten usw. Und eines dieser Bücher dürfte damals alle Grenzen gesprengt haben. "Nicht ohne meine Tochter". Es war das erste Mal, dass man ein Buch, so direkt und ohne jeden Filter, über ein fremdes Land und Volk lesen durfte. Erfahrungen die Du sicher schon gesammelt hattest, ich meine es gab ja genügend türkische Mitbürger in Deiner Heimat, wurden nun per Buch in eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft gebracht. Auch ich habe das Buch damals gefressen. Mein Glück jedoch, ich bin kurz nach der Bundestagswahl "ausgewandert" und habe in halb Europa gelebt und damit Länder und Leute kennengelernt. Anders als jene, die aus glänzenden Reiseprospekten heraus die Welt erkundeten und sich dahin kauften, wo die Welt so war wie sie meinten, dass diese so sein könnte. Hochglanz eben, ohne zerfallene Häuser, Menschen in Armut usw.

Ich war 1992 mal ein Wochenende in Frankfurt am Main. Entsetzt fuhr ich danach weiter. Von Armut und Obdachlosigkeit hatten wir ja zu DDR-Zeiten schon gehört. Glauben konnte man das nicht wirklich, wenn ich ehrlich bin. Und dann kommt man in diese "Geldmetropole". Auch zu DDR-Zeiten war bekannt, dass Frankfurt/M im Prinzip eine Kopie der Wallstreet sein müsse. Hochhäuser so weit das Auge reicht usw. Und was sieht man, wenn man am Main entlang geht? In einer Stadt in der das Geld aus jedem Gullideckel quellen müsste? Obdachlose und völlig verwahrloste Menschen. Ganz ehrlich? Bis dahin hatte ich das für billige DDR-Propaganda gehalten. Ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Ich hätte noch viele, viele Beispiele mehr, wie der Osten ausgeraubt worden ist, nicht nur wirtschaftlich. Das ist den Menschen da keineswegs entgangen und hat sich tief eingefressen. Das Problem nämlich, der Osten hat sich zwar selbst mit seinen Montagsdemos "befreit", nur leider haben andere das Zepter übernommen. Es haben Leute übernommen, die ihren Vorteil aus dieser Geschichte ziehen wollten. Kohl wollte in den Geschichtsbüchern stehen, nicht aber für die Menschen da sein!

Und dann kamen die Piraten. Eine völlig neue Partei die den "Oberen" so richtig Paroli bieten konnte. Ich erinnere an jenen legendären Schlagabtausch zwischen Christopher Lauer und Kurt Beck bei Maischberger, wo Beck einen seiner typischen Ausraster hatte.



Genau das hat dem Land gefehlt und genau das war einer der Gründe, weswegen sich 2012 so viele Bundesbürger vorstellen konnten die Piraten zu wählen! Leider haben wir genau das versaut! Man referierte lieber über "Zombiebügeleisen", was bis heute vielleicht witzig klingen mag aber kaum jemand außerhalb der Piraten verstanden hat oder machte das ganze System madig, in dem die Menschen _LEBEN_(!) und schreit lauthals "Krankes System", statt sich in wirklicher und echter Polemik zu üben. Den Stachel im Fleisch der etablierten Parteien übernahm wenig später eine A*D. Und genau diese Partei betreibt dieses Spiel, dass den Piraten einstmals Sympathien brachte. Im übrigen, ein Spiel das die Medien hervorragend mitspielten und bis heute mitspielen! Themenvielfalt und vor allem Vielfalt der Argumente, lasst Ihr alle bis heute nicht zu! Denn sogar ihr als Medienschaffende, könntet Euren Beitrag dazu leisten, Menschen Gehör zu verschaffen, die sonst eher weniger Gehör haben. Leider versteckt Ihr Euch hinter Prognosen und Umfragen, Ihr spielt demnach das Spiel der Politik mit. Denn gäbe es diese 5% Hürde in Deutschland nicht, müsstet Ihr alle wesentlich differenzierter und vielfältiger berichten als Ihr es heute tut. Allein damit macht Ihr Euch zum Handlanger der etablierten Politik, wie auch zum Sprachrohr einer A*D.

Jetzt kann man natürlich all jenen, die diese A*D wählen rechtslastiges Gedankengut vorwerfen. Und ja, insbesondere im Osten hat diese Partei ein gewaltiges Potential. Nur ihr wundert Euch immer noch, weswegen das so ist. Ihr habt bis heute nicht verstanden, wie der Osten tatsächlich tickt. Mängel, die man durchaus in der Bildung sehen kann, manifestieren sich heute, da viele Menschen eben abgehängt und nicht mitgenommen wurden. Es war keiner erpicht darauf, einen Almosen zu bekommen. Es war keiner erpicht darauf, bis an sein Lebensende auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Denn das was man sich zu DDR-Zeiten aufgebaut hatte, war nicht mehr vorhanden. Vielen DDR-Bürgern war eines gemein mit denen aus dem Westen: "Man war oft tief verbunden mit seinem Betrieb". So wie die Bergbaukumpels oder Stahlarbeiter im Ruhrpott, so hielt man es auch in der DDR. Das ist nicht mit Logik zu erklären, es sind alles nur "Gefühle", die dazu beitrugen. Und diese Gefühle waren von heute auf Morgen weg. Frage doch mal die alten Stahlarbeiter in Dortmund beispielsweise, wie sie heute noch darüber denken, dass ihr Werk geschlossen wurde, später abgebaut und in China neu aufgebaut? Sie werden das Gleiche erzählen wie jene im Osten, nur mit jeweils anderen Voraussetzungen!

Und heute? Heute haben wir eine Kanzlerin, die "Wir schaffen das" als Mantra vor sich her trägt und meint, mit diesem Spruch kann man alles schaffen was man sich vornimmt. Ja, das Gleiche wurde schon mal von der Politik behauptet, als es um das Thema "Blühende Landschaften" ging. Ja ich höre schon wieder, dass man das so simpel ja nicht betrachten dürfe. Ach, tatsächlich nicht? Seit wann hat der Journalismus in Deutschland den Stein der Weisen gefunden? Und ja, genau so simpel muss man das Ganze betrachten. Denn nur so wird man die Ursachen, die zu dem ganzen Radikalismus führten, finden können und unter Umständen einen Weg, eine Lösung finden, aus diesem Dilemma heraus zu kommen. Schuldzuweisungen, so wie Du auch herausgefunden hast, helfen da wenig. Aufklärung hilft aber auch nicht, weil die glaubt keiner mehr!

Was hilft, ist der Stachel im Fleisch des Anderen. Und dazu gehört in der heutigen Zeit etwas mehr Polemik und etwas weniger Selbstbeweihräucherung!

Ich habe fertig. Ich weiß auch, ich habe nur einen Bruchteil dessen angerissen, der wichtig wäre zu erzählen.

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