Freitag, 22. Juli 2016

Harmlos kann jeder!

Ich wurde vor einem Jahr schon mal gefragt und habe NEIN gesagt. Nicht, weil es mir an Ideen mangelt oder an Eloquenz. Auch nicht, weil ich vielen, viel zu häufig, die Fehler um die Ohren gehauen habe. Erst recht nicht, um selbst keine Fehler zu machen und dies öffentlich zugeben zu müssen. Es ist schlicht mein privates Bedürfnis nach Datenschutz, welches mich bisher immer von allen öffentlichen Ämtern ferngehalten hat. Es gibt kein Bild von mir im Internet und auch mein realer Name gibt nicht wirklich viel her. Ich möchte nach wie vor eigentlich kein Amt inne haben. Um das aufzugeben, für viel Verpflichtung und viel zu wenig gestalterische Möglichkeiten, gehört mehr als nur Mut. Es wäre schlicht purer Idealismus, der mich dazu bringen würde, tatsächlich als 1. Vorsitzender zu kandidieren!

Jetzt stehe ich als Vorschlag im Wiki. Danke für das Vertrauen.

Wenn ich den Gedanken mal zu Ende spiele und mich auf eine Kandidatur einließe, was würde mich qualifizieren als erster Vorsitzender einer Piratenpartei? Was würde ich mitnehmen, um der Piratenpartei das wiederzugeben, was sie einstmals gewesen ist?

Für die meisten ist das sicher nichts Neues, wenn ich sage: Der Geist der 2009er bis 2012er Jahre ist abhanden gekommen. Der Geist, als Anti-Atom-Piraten und Nuklearia noch gleichberechtigt in der Partei arbeiten durften. Als Waffenlobbyisten und Pazifisten noch miteinander sprach... ähm stritten. Die vielen, teils konträren Ideen, sind in den vergangenen Jahren von Dogmatikern mit einer "Ich habe Recht" -Mentalität übernommen worden. Andere Meinungen oder gar Gedanken werden oft gar nicht mehr zugelassen, ja teils mit dem Knüppel regelrecht erschlagen.

Man kann Sekor gar nicht dankbar genug sein, der Piratenpartei nach dem aBPT in Halle so viel Ruhe zurückgegeben zu haben. Und auch allen anderen seither dem Bundesvorstand angehörenden Mitgliedern gehört ein ordentliches Stück Respekt entgegengebracht, für die teils schwierige Arbeiten, die sie leisten mussten. Jedoch kann Sekors Weg, so wie bisher, nicht weiter gehen. Die Piratenpartei muss endlich wieder angriffslustig werden und damit zu ihrem früheren Naturell zurückfinden. Wir können uns in dieser Zeit nicht einfach zurücklehnen und darauf warten, eingeladen zu werden, um unsere Vorstellungen einer lebenswerten Zukunft einem breiten Publikum zu präsentieren. Und schwurbelnde Politiker haben wir heute schon genug in Regierungen und Landesparlamenten, da brauchen wir auch keine Vorsitzenden aus NRW oder Berlin beispielsweise. Ehrlichkeit sieht in meinen Augen anders aus. Zur Ehrlichkeit gehören auch glaubhafte Emotionen. Denn schließlich geht es darum, gewählt zu werden, Politik zu machen, die Welt ein klein wenig (oder mehr) zu verändern. Mit hohlen Phrasen wird man da eher weniger erreichen.

So hat es unser Bundesvorstand meiner Meinung nach schlicht versäumt, eine klare Absage dem sogenannten Twitter-Speicher zu erteilen. Man kann nicht auf der einen Seite gegen die massenhafte Datenspeicherung sein und auf der anderen Seite das Speichern von Daten zulassen, auch wenn sie öffentlich zugänglich sind. Das ist nach wie vor einer der fatalen Widersprüche, in die sich die Piratenpartei verwickelt hat. Ebenso hätte man sich schon lange von den meisten der Berliner Piraten im AGH öffentlich distanzieren müssen. Bis heute weiß eigentlich kein Wähler so recht, ob der Kurs von Höfighoff und Co. Teil der Piratenpartei ist oder nicht?! Meine Kampagne wäre eine Klartext-Kampagne. Wir verstecken uns alle viel zu oft hinter schönen Worten, nur um bei dem Gegenüber die Phase der Wohlfühlpolitik nicht zu verletzen. Dabei verletzen Bundesregierung und Landesparlamente viel zu oft Gesetze, weswegen Gerichte nötig sind, sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen!

Natürlich ist die Politik von heute "ein krankes System", das schleunigst vom Kopf auf die Füße gestellt gehört. Aber es ist nicht notwendigerweise sinnvoll, das anderen Parlamentariern stetig unter die Nase zu reiben, mit denen man später am runden Tisch vielleicht den ein oder anderen Kompromiss aushandeln möchte. Die Piraten-Fraktion NRW hat es beispielhaft vorgemacht, wie man verbrannte Erde hinterlässt. Denn sie ist es, die bis heute meist nur vorgeführt wird und kein Bein auf den Boden bekommt. Wirkliche Ursachensuche sieht anders aus, statt nur den Fraktionsvorsitzenden zu wechseln.

Ein oft benutzter Spruch von mir ist: "Wer fragt, der führt!". Ein oft benutzter Slogan der Piratenpartei war: "Wir sind die mit den Fragen!". Seit geraumer Zeit ist davon nicht mehr viel zu spüren. Die Piratenpartei ist zu einer Partei der "Forderungen" mutiert. Setze ich die Aussage "krankes System" in einen Kontext mit "wir fordern", fällt mir spätestens ab hier auf, dass es sich beißt, wenn man von einem kranken System etwas fordern will. Wie kann ich von einem System etwas fordern, wenn ich ja ach so genau weiß, dass es krank ist? Diese Sinnhaftigkeit erschließt sich mir bis heute nicht.

Sinnbefreit ist es auch, aus der Piratenpartei ein Aktionsbündnis machen zu wollen. Wozu soll das gut sein? Eine Demo hier, eine da. "Die Piratenpartei ist gegen ... ". Ich liebe das Spiel mit Worten. Wir als Piratenpartei spielen leider schon lange nicht mehr damit, wir vergewaltigen die Sprache bisweilen aufs Äußerste. Wer immer nur "gegen etwas" ist, für was ist er denn dann? Was also macht eine Partei wie die Piraten aus, die zwar genau wissen "wogegen sie sind", aber nicht formulieren können "was sie erreichen wollen"? Wir haben ein umfangreiches Parteiprogramm, das eigentlich lesenswert ist. Lese ich es und bringe es mit dem Verhalten von heute in einen Kontext, überkommt mich immer wieder und wieder das Gefühl, vor einem riesigen Flickenteppich zu stehen. Hier wird ein Fehler gefixt, da ein Bug behoben, dort wird etwas geradegebügelt. Die sogenannte "rote Linie", der rote Faden, ist im Dickicht der vielen Forderungen verloren gegangen.

Kreativ sein bedeutet auch, unorthodox zu denken und zu handeln. So, wie die Regierung unsere Gesetze bis hin zum Grundgesetz auf das Äußerste verbiegt (ich erinnere an Supergrundrechte oder Geheimverhandlungen im Namen der Wähler, die von nichts wissen dürfen), so sollten auch wir als Piratenpartei unser Programm nicht als ein in Stein gemeißeltes Kunstwerk betrachten.

Die Welt verändert sich viel zu schnell, als dass wir zukünftig unser teils großartiges Programm nicht auch interpretieren dürften. Wir müssen raus aus unseren starren Denkmustern. Nichts ist so geduldig wie das Papier, auf dem Programme geschrieben werden. Ich bemühe an der Stelle mal eine Metapher. "Wir müssen mehr Topfschlagen im Minenfeld wagen. Die Chance, eine zu treffen, ist in der heutigen Zeit ziemlich groß." Schaffen wir es, den Finger öfter tief in die Wunden dieser Gesellschaft zu legen, wird es auch gelingen, uns Gehör zu verschaffen.

Ich nehme diesen Kandidatenvorschlag erst einmal an, wohlwissend, dass ich alles andere als unumstritten bin. Ich nehme den Vorschlag aber auch deshalb an, weil ich immer wieder - überall und immer in meinem Leben - bewiesen habe, Dinge, die ich mir in den Kopf gesetzt habe, auch zu können. Fingerspitzengefühl (da, wo es nötig ist), klare und unmissverständliche Worte (da, wo sie angebracht) sind, Zurückhaltung (dann, wenn ich selbst nichts zum Thema zu sagen habe). Kreatives Denken, ungewöhnliche Wege und insbesondere nicht vorhersehbare. Ich bin nicht nachtragend, ich vergesse aber auch nicht. Und ich verbiege mich nicht, niemals. Das habe ich noch nie getan, warum sollte ich heute damit anfangen?

Mit der vorläufigen Annahme des Vorschlags verspreche ich euch etwas: Ich möchte, dass wir gemeinsam diese Welt verändern. Den Weg in den Bundestag oder diverse Landesparlamente, den wollen andere beschreiten, ich auf keinen Fall, niemals. Ich hege keine entsprechenden Ambitionen! Ich möchte die Politk kreativ stören (mit der Partei), nicht mit ihr spielen, wie es die Fraktion beispielsweise tun muss.

Harmlos kann jeder!

Dieser Text erst mal ein Einleitung, als Begründung, warum ich tatsächlich darüber nachdenke. Fragt, wenn ihr Fragen habt.

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer_Diskussion:Wutze/Klartext

3 Kommentare:

  1. Hallo Wutze,

    Du schreibst "Ebenso hätte man sich schon lange von den meisten der Berliner Piraten im AGH öffentlich distanzieren müssen.“ Das finde ich interessant. Welchen Effekt erreicht man typischerweise, wenn sich eine Partei von den meisten ihrer Fraktionsmitglieder in einem Landesparlament distanziert?
    Kann es sein, dass man sich damit, als Partei, selbst den Boden unter den Füßen wegzieht, und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zumindest in diesem Bundesland niemals wieder gewählt wird?
    Es kann natürlich ein Ziel sein, die eigene Partei möglichst unwählbar zu machen. Ich fürchte nur, dieses Ziel wird von nicht allzuvielen Parteimitgliedern unterstützt.
    Wäre es nicht sinnvoller, sich mit einer Fraktion, deren Fraktionäre zunächst innerparteilich und dann vom Wahlvolk mit einem Mandat ausgestattet wurden, die also demokratisch gewählt sind, parteiintern zusammenzusetzen und sich regelmäßig über gemeinsame Ziele und den Weg dahin auszutauschen und abzustimmen, statt sich öffentlich zu distanzieren?
    Kann es sein, dass du den Satz "Ebenso hätte man sich schon lange von den meisten der Berliner Piraten im AGH öffentlich distanzieren müssen“ nur deshalb schreibst, weil Du annimmst, damit auf ein positives Echo bei einer Mehrheit der Parteimitglieder zu stoßen, diese Aussage also rein parteipopulistisch ist?
    Du erwähnst das Hassobjekt vieler Piraten, Herrn Höfinghoff in diesem Zusammenhang namentlich, aber beliebte, ebenfalls ausgetretene Mitglieder wie Andreas Baum, Simon Weiss oder Pavel Meyer werden nicht erwähnt. Ist Dir die politische Arbeit dieser Ex-Piraten in der Berliner Fraktion bekannt, und wenn ja, was findest du an ihr so kritik- und distanzierungswürdig?
    Kannst du dir Gründe vorstellen, warum sich der Vorstand des Berliner Landesverbandes bisher nicht von der Arbeit der Fraktion Berlin distanziert hat?

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  2. Der Piratenpartei wurde doch spätestens zur AVEU der Boden unter den Füßen weggezogen. Unter anderem durch eben jene im Text namentlich genannte Person. Welchen Schaden hätte man zusätzlich noch anrichten können als jener, der die Partei danach über ein Jahr lang gelähmt hat?

    Ein wesentlicher Schritt wäre die Distanzierung von solchen Abgeordneten und deren Handlungen gewesen, weil das jene, die nicht so im Rampenlicht stehen bzw. "so laut sind", den Rücken durch die gesamte Partei gestärkt hätte. Frage dich mal selbst ob Lauer, Höfinghoff und Co. ein Einsehen gehabt hätten? In meinen Augen wurden nicht nur Andreas, Pavel und Simon allein im Regen stehen gelassen. Das ist es, was mich bis heute ärgerlich zurück lässt und nicht hätte sein dürfen.

    Ob ich mir Gründe vorstellen kann, weswegen die Berliner Piraten so an ihren Abgeordneten hängen? Ja das kann ich. Was ich hingegen nicht kann, mir vorstellen das mir regelmäßige Schläge in den Magen gefallen würden. (Das mit dem Schrecken ohne Ende ... ) ;o)

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  3. Danke für die Antwort. Jetzt sehe ich klarer.

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