Dienstag, 7. April 2020

Universitäten als bloße Wissensdruckmaschinen

Deutsche Universitäten sind zu reinen Wissensdruckmaschinen mutiert, die ohne jeden Weitblick so weiter machen wie immer.

Ich nehme Bezug auf die Aussagen der Ruhruni Bochum auf Twitter zu dieser Aussage von mir, da die Uni eine Zoom-Lizenz erworben hat, um Videokonferenzen durchzuführen. Den Aussagen des Social-Media-Teams zufolge, gab es offenbar sogar eine Abstimmung zwischen weiteren Universitäten sowie einen Test verschiedener Alternativen.



Ein kleiner Exkurs in die jüngere Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Europas.


Seit vielen Jahren höre ich das Stöhnen der Regierungen und vieler Organisationen, dass wir alle viel zu abhängig von den USA und inzwischen schon von China seien, weil die zentralen Entwicklungen, die IT betreffend, nur dort gemacht würden. Im Grunde ist das auch zutreffend, da alle maßgeblichen Entwicklungen aus dem Silicon Valley kommen - und es hat den Anschein, dass nichts diesen Weg durchbrechen könnte.

Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland hat 1990/91 einen fatalen, weil wegweisenden Schritt gemacht, der die Abhängigkeiten zu den USA auf lange Sicht hin zementiert hat. Man gab die Elektronikproduktion aus dem damaligen „Silicon Valley“ der DDR auf. Der damaligen Regierung kann man mit Fug und Recht unterstellen, keinerlei Verständnis für zukünftige Technologien besessen zu haben. Infinion oder AMD haben sich nicht umsonst genau dort angesiedelt. Die Unfähigkeit der damaligen Regierung rächt sich bis heute in mehrfacher Hinsicht.

Die Technologische Entwicklung Deutschlands, als auch Europas, wurde damit sprichwörtlich an amerikanische Universitäten und Firmen outgesourct. Bis heute schaut man lieber über den großen Teich, weil man es schlicht nicht wagt, eigene Technologien zu entwickeln. Alles fällt immer wieder den restriktiven Beschränkungen einiger weniger zum Opfer, die unisono der Meinung sind, dass etwas neu zu entwickeln viel mehr Geld kosten würde, statt etwas Bestehendes einfach zu kaufen. Das Thema „Nachhaltigkeit“ kommt da schlicht nicht vor.

Natürlich mag der Einkauf eines Produktes für kurzfristige Maßnahmen durchaus der bessere Weg sein; wo jedoch bleibt der Blick auf langfristig gesetzte Ziele? Insbesondere die Universitäten sollten doch eigentlich dazu angehalten sein, sich zu entwickeln, statt auf Althergebrachtes zu setzen. Innovation wird doch eher behindert, wenn man stetig nur den Blick in eine einzige Richtung wagt. Inzwischen ist es ja sogar schon so weit, dass wir uns an China orientieren könnten, die mit ihrer Forschung und Entwicklung inzwischen um Längen weiter sind als Europa! Das macht mich nachdenklich und lässt mich fragen, wie es nur dazu kommen konnte?

Nach etwas Theorie nun Praxis


So weit zum „theoretischen“ Teil. Warum verbünden sich die Universitäten nicht und setzen auf freie Software? Beispielsweise Jitsi mag im Moment nicht den Anforderungen der Uni genügen. Wo aber sind die Anforderungen dokumentiert? Würden aber Gelder, die jetzt an eine US-Firma gehen, dahin umgeleitet, wären binnen kürzerer Zeit bessere Entwicklungen aus diesem Projekt möglich. Hinzu kommt, dass es in den meisten Fällen Informatik-Studenten an den Unis gibt, die so am lebenden und praktischen Beispiel lernen können. An den Unis existiert doch sowieso viel zu viel Theorie, warum also nicht das eigene System für etwas Produktives nutzen?

Und noch etwas fällt mir auf: Die Entscheidung für Zoom ist viel zu früh gefallen. Die Begründung mag jetzt sicherlich verwirren, aber es wurde ja noch nicht einmal ein Konzept erarbeitet wie ihr Vorlesungen etc. tatsächlich „dezentral“ organisieren könnt. Ich wette darauf, dass viele der Lehrenden der Meinung sind, die Präsenzlehre eins zu eins in das Internet übertragen zu können. Im Auditorium sitzen die Studierenden und der Dozent hat alle im Bild auf seinem Computer. Nur wird das so nicht funktionieren. Das kann ich ohne weitere Informationen versprechen. Das Resultat wird nämlich am Ende so aussehen, dass es wieder lauten wird: „Das mit dem Internet funktioniert nicht, deswegen gehen wir wieder viele Schritte zurück und machen es so wie immer!“, denn „so wie immer“ hat ja im Internet nicht geklappt. Ja, aber wie auch? Gedanken über neue Lehrformen hat man sich ja, wenn überhaupt, nur rudimentär gemacht.

Die Entscheidung für Zoom ist hierfür symptomatisch. Es gibt weder einen Plan noch eine Idee, wie man langfristig unser aller digitale Abhängigkeit von Wenigen aufbrechen könnte, noch wird die jetzt von der Ruhr-Universität gefundene Lösung am Ende so zufriedenstellend sein, als dass sich wirklich etwas zum Positiven und Nachhaltigen hin verändert . Wahrscheinlicher ist, dass man nach einiger Zeit aus Frust davon ablassen wird, ohne je erfahren zu haben, was die aktuelle Situation an Chancen geboten hat.

Die Universität als Wissensdruckmaschine


Universitäten funktionieren, von außen betrachtet und mithilfe einer Metapher beschrieben, im Prinzip so:

„Vorne kommen Studierende hinein, verschwinden in einer großen Halle, wo sie auf ein Fließband gestellt werden. Dort werden sie nacheinander mit Weisheiten** bedruckt und kommen nach einer gewissen Zeit "fertig" hinten wieder heraus.“

** Diese Weisheiten können durchaus schon 40 Jahre alt sein, denn die Person, die für das Bedrucken der Studierenden zuständig ist, hatte ja ihrerseits ein Studium mit Inhalten, die ebenso schon einige Zeit auf dem Buckel hatten.

Die Konversation mit der Uni war kurz


Die Uni Bochum bekam den bis hier hin veröffentlichten Text ohne den Abschnitt der Wissensdruckmaschine zugesendet. Einen Tag später flatterte die Antwort ein. Es ist schade, die Universitäten sind scheinbar nicht in der Lage noch gewillt dazu, ihre Positionen zu überdenken oder zu verlassen, geschweige denn die Intentionen von Mitteilungen in ihrer Gesamtheit der Aussagen zu verstehen. Sie wandeln daher lieber weiter auf ihren ausgefahrenen aber wohlbekannten Wegen. Der Antwort der Uni Bochum nach ist zu entnehmen, man könne sich nicht tiefer dem Thema widmen, da man schlicht mit etwas anderem beschäftigt sei. (Planung Sommersemester!) Man verwies stattdessen auf die Informationen zur Online-Lehre.

Nachwort:


Bezüglich Zoom habe ich noch etwas mehr gefunden. Von der Uni Kassel existiert eine Einschätzung mit dem Namen „Zoom und Datenschutz“ (PDF) von Prof. Dr. Alexander Roßnagel.

Eine Analyse der Datenschutzrichtlinien von Zoom https://zoom.us/de-de/privacy.htm vom 29. März 2020 zeigt, dass Zoom Video Communications diese Datenschutzrichtlinien komplett überarbeitet hat. Der wichtigste Unterschied zu den bisherigen Richtlinien (vom 27. April 2018) besteht darin, dass Zoom nun zwischen den Zoom-Diensten und den Zoom Marketing Websites (zoom.us und zoom.com) unterscheidet.
Ja wenn das so ist.

Es wird Bezug zur DSGVO hergestellt. Der Hinweis das Zoom verpflichtet ist Daten an Regierungsbehörden oder Geheimdienste weiterzugeben, wird verklausuliert beschrieben. Auch das fehlen einer Ansprechstelle für den Datenschutz, wird zwar bemängelt aber ignoriert. Am Ende kommt Herr Professor Roßnagel zu folgender Einschätzung:
„Zusammenfassend ist für die Nutzung von Zoom-Diensten durch die Universität Kassel zu beachten, dass Zoom nicht alle Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung erfüllt. Dennoch ist die Nutzung von Zoom-Diensten nach den neuen Datenschutzrichtlinien vertretbar, wenn die Universität:

a) alle zentral einstellbaren Konfigurationsmöglichkeiten zugunsten des Datenschutzes nutzt und

b) die einzelnen Nutzer über die individuellen datenschutzgerechten Konfigurationsmöglichkeiten informiert.

Es ist zum Haare ausraufen. Ein Professor einer Forschungseinrichtung, „deren Fokus auf der interdisziplinären Gestaltung gesellschaftlich wünschenswerter Informations- und Kommunikationstechnik aus einer soziotechnischen Perspektive liegt (Link), macht sich so gar keine Gedanken über den Abfluss von Wissen aus Europa in Richtung USA. Ganz abgesehen davon, welcher Benutzer richtet seinen Client vor der Nutzung ein?

Den Professoren und Doktoren ist offenbar mehr daran gelegen ihre Besitz- und Wissensstände zu erhalten, statt nach neuen Wegen zu suchen. Wege die auf lange Sicht hin einen großen Nutzen für Deutschland als auch Europa hätten, um der Abhängigkeiten aus den USA oder China zu entgehen. Universitäten die den Status Quo erhalten wollen statt sich dem Fortschritt zu stellen um ihn zu gestalten, übersteigen schlicht meine Vorstellungskraft.

Dass das EU-US Privacy Shield von geistig umnachteten US-Präsidenten mal eben aufgehoben werden kann und demnach völlig nutzlos ist, wie vom ehemaligen Bundesdatenschützer Peter Schaar geäußert, scheint in diesen Kreisen noch nicht angekommen zu sein.

Nachtrag:


Von wegen sicher. Inzwischen existiert ein Dialer, der ohne Probleme Konferenzen findet und deren Metadaten.

Update


Inzwischen verbietet sogar das Auswärtige Amt die Nutzung von Zoom.

Update

Die Ruhr-Uni scheint ja doch Leute zu haben, die sich um den Datenschutz Sorgen machen. Mich wundert nur, dass das nicht bis in den letzten Winkel dringt. Vor der Corona-App hat man Angst, vor Zoom immer noch nicht.

Freitag, 3. April 2020

P(r)ost Corona

Wenn uns im Moment allen etwas wirklich fehlt, dann ein Szenario, eine Idee, eine Zukunftsperspektive, wie es nach Corona weitergehen kann.


Denn, wenn zwei Dinge heute schon feststehen, dann, dass nach Corona nichts mehr so sein wird, wie es vorher war und dass nichts unmöglich oder gar alternativlos ist. Dieses Corona hat so viel binnen kürzester Zeit verändert und möglich gemacht, dass die vergangenen 20 Jahre des weitgehend technisch/organisatorischen als auch des sozialen Stillstandes, in vielen Bereichen mehr als wett gemacht worden sind. Einzig die Frage, die ich in den vergangenen Tagen überall und vor allem häufiger vernommen habe: „Wie soll es danach weitergehen? Welche Zukunftsperspektiven gibt es?“


Hinter den Kulissen wird bereits hart um Deutungshoheiten gekämpft. Eine FDP beispielsweise läuft sich warm, um nur ja nicht zu viele Federn lassen zu müssen. Die Angst, dass etwas anders sein könnte, als es vorher war, treibt derzeit einige Stilblüten und insbesondere die Neoliberalen Kräfte der Gesellschaft sind bemüht, nichts an Boden einzubüßen.


Unserer Gesellschaft wurde mit einigem Nachdruck bewiesen, wer wirklich systemrelevant ist. Es sind eben genau nicht die Banken, Börsen und deren Vertreter eines Finanz-Schneeballsystems - es sind die Krankenschwestern, die Pfleger, die Verkäuferin, der Bäcker, um nur einige zu nennen. Insofern ist es jetzt durchaus angebracht, die Frage zu stellen, ob nicht das Gehalt dieser wirklich systemrelevanten Berufe als Maßstab für für den Verdienst aller anderen Berufe gelten sollte. Der Respekt, der heute diesen systemrelevanten Gruppen entgegengebracht wird, darf nicht mehr einschlafen. Wir müssen uns diesen Respekt erhalten! Wir dürfen den neoliberalen Kräften nicht mehr das Terrain überlassen, da sie mit immer neuen Methoden versuchen, das soziale Gefüge zu zerstören! Wir müssen endlich den Mut finden, auch als Reaktion aus dieser Corona-Krise heraus, die heute erfolgten Veränderungen innerhalb der Gesellschaft weiter zu nutzen, zu verbessern und an unsere Ansprüche anzupassen. Hierzu gehören dann auch neue Gedanken, wie man aus dieser Situation, mit der man heute zu tun hat, weiter umgehen und aus ihr lernen kann.


Treten wir doch mal einen großen Schritt zurück und betrachten das große Ganze. Wer aufmerksam auf diese Welt blickt, wird viele Kleinigkeiten entdecken, die ohne Corona und dessen Begleiterscheinungen gar nicht möglich gewesen wären. Heute ist zum Beispiel Freitag. Insbesondere im Ruhrgebiet ist das ein Tag mit teils 100 Kilometern Stau und mehr. Hauptverkehrsstraßen, die sonst permanent verstopft sind, bleiben seit Wochen befahrbar, ja man reduziert teils sogar die Fahrspuren, weil der Verkehr das zulässt. Es gab während der Sperrungen in Wuhan zum Beispiel Nachrichten aus China, infolge deren die Luftverschmutzung rund um das Epizentrum um weit mehr als 80% gesunken ist. Dasselbe ist derzeit auch über Europa zu beobachten. Dass in Deutschland vielerorts die Feinstaubwerte nicht sinken, wo doch der Diesel-PKW so schädlich für die Umwelt sei, ist dann wohl eher den vielen grünen Feinstaubschleudern mit dem Namen Holzofen zu verdanken. Kachelmann lässt grüßen.


Trete ich noch einen Schritt weiter zurück, fällt mir noch mehr auf. Davon ausgehend, dass wir in einer Welt leben, die keinerlei Grenzen im Sinne von „Wir machen Urlaub überall“ kennt, sind lokale, demnach auf einen oder einige wenige Staaten begrenzte Veränderungen, wenig sinnvoll. Aus diesem Grund beziehe ich mich beispielsweise auf Aussagen und Statistiken, die den gesamten Globus betreffen. Rückschlüsse hieraus auf lokale Gegebenheiten kann dann jeder selbst herstellen.


2018 wurden rund 1,5 Bill US-Dollar weltweit an Renditen an Aktionäre ausgezahlt. Dem gegenüber stehen rund 350 Mrd. US-Dollar, die 2018 notwendig gewesen wären, um den Hunger auf der Welt zu beenden. Ich lasse an der Stelle mal völlig außer Acht, dass es milliardenschwere Subventionen gibt (und anderes), die diesem Gedanken noch fehlen. Jedoch genügen diese beiden Zahlen, um zu zeigen, was bei entsprechendem politischem Willen, Weltweit möglich wäre.


Breche ich diesen Gedanken herunter nur auf Europa oder nur auf Deutschland, dann wird erneut deutlich, wie sehr unser aller Wohl von einer funktionierenden Solidargemeinschaft abhängig ist. In Italien und Spanien wurde nach der Bankenkrise 2008 das Sozialsystem mitsamt seinem medizinischen System von den neoliberalen Befürwortern geschleift. Fast die Hälfte der Krankenhäuser, bzw. große Teile der medizinische Vorsorge, wurden abgeschafft. In den USA will die Regierung nun alle durch Corona indizierten, medizinisch notwendigen Behandlungen bezahlen. Mit einer vernünftigen Krankenversicherung für alle wären solche Maßnahmen nicht notwendig. Sogar Großbritannien hat inzwischen begriffen, dass ein System zur Krankheitsvorsorge für die Wirtschaft elementar ist, woraus aus meiner Sicht der Beweis erbracht ist, dass es genau diese Vorsorge ist, die jedem Menschen auf der Welt zuteil werden muss.


Inzwischen sollte eigentlich jedem klar geworden sein, dass sogar ein festes Grundeinkommen nicht nur notwendig, sondern sogar möglich wäre. Denn, wie schnell man in Kurzarbeit gelangen kann oder sogar der Verlust des Arbeitsplatzes droht, war für viele bisher undenkbar, jetzt erlebt man es am eigenen Leib.


Es ist im Moment eigentlich völlig egal, welches Stück des Lebens ich betrachte, die Auswirkungen und Möglichkeiten in der derzeitigen Situation sind in weiten Teilen unglaublich. Es werden Ressourcen frei, von denen ich glaubte, sie seien verloren gewesen. An einigen Dingen herrscht derzeit ein Mangel. Und genau durch diesen Mangel werden kreative Kräfte frei, die weit mehr als die Produktivität betreffen. Das reicht hin bis zu Künstlern, die plötzlich feststellen, dass ihre Kultur durchaus auch „frei“ sein kann, ohne restriktive Copyrights.


Wenn in dieser Krise eines mehr als deutlich geworden ist, dann, dass vieles möglich wurde, das vorher als undenkbar galt. Deswegen heute der Aufruf an alle: Lasst bitte nicht zu, dass die Neoliberalen uns in ihre alten Muster der Unfreiheit und Beschränkungen zurück fallen lassen!

Diese neoliberalen Marktgläubiger sind der Hemmschuh einer jeden fortschrittlichen Gesellschaft. Der Markt besitzt nämlich keine Intelligenz, diese Gesellschaft, wir alle zusammen, besitzen eine und haben nun die Chance, uns das zutrauen, was bisher als unmöglich und nicht durchführbar bezeichnet wurde. Die Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen und uns erneut einlullen zu lassen, ist größer denn je. Denn, was werden diese Neoliberalen uns nach der Krise erzählen? „Wäre der Markt nicht so beschränkt gewesen, wäre das alles nicht passiert!“. Zumindest wären die Worte so oder so ähnlich.


Eure Gedanken? Per Twitter an @HuWutze oder hier in den Kommentarbereich. bitte.