Freitag, 3. April 2020

P(r)ost Corona

Wenn uns im Moment allen etwas wirklich fehlt, dann ein Szenario, eine Idee, eine Zukunftsperspektive, wie es nach Corona weitergehen kann.


Denn, wenn zwei Dinge heute schon feststehen, dann, dass nach Corona nichts mehr so sein wird, wie es vorher war und dass nichts unmöglich oder gar alternativlos ist. Dieses Corona hat so viel binnen kürzester Zeit verändert und möglich gemacht, dass die vergangenen 20 Jahre des weitgehend technisch/organisatorischen als auch des sozialen Stillstandes, in vielen Bereichen mehr als wett gemacht worden sind. Einzig die Frage, die ich in den vergangenen Tagen überall und vor allem häufiger vernommen habe: „Wie soll es danach weitergehen? Welche Zukunftsperspektiven gibt es?“


Hinter den Kulissen wird bereits hart um Deutungshoheiten gekämpft. Eine FDP beispielsweise läuft sich warm, um nur ja nicht zu viele Federn lassen zu müssen. Die Angst, dass etwas anders sein könnte, als es vorher war, treibt derzeit einige Stilblüten und insbesondere die Neoliberalen Kräfte der Gesellschaft sind bemüht, nichts an Boden einzubüßen.


Unserer Gesellschaft wurde mit einigem Nachdruck bewiesen, wer wirklich systemrelevant ist. Es sind eben genau nicht die Banken, Börsen und deren Vertreter eines Finanz-Schneeballsystems - es sind die Krankenschwestern, die Pfleger, die Verkäuferin, der Bäcker, um nur einige zu nennen. Insofern ist es jetzt durchaus angebracht, die Frage zu stellen, ob nicht das Gehalt dieser wirklich systemrelevanten Berufe als Maßstab für für den Verdienst aller anderen Berufe gelten sollte. Der Respekt, der heute diesen systemrelevanten Gruppen entgegengebracht wird, darf nicht mehr einschlafen. Wir müssen uns diesen Respekt erhalten! Wir dürfen den neoliberalen Kräften nicht mehr das Terrain überlassen, da sie mit immer neuen Methoden versuchen, das soziale Gefüge zu zerstören! Wir müssen endlich den Mut finden, auch als Reaktion aus dieser Corona-Krise heraus, die heute erfolgten Veränderungen innerhalb der Gesellschaft weiter zu nutzen, zu verbessern und an unsere Ansprüche anzupassen. Hierzu gehören dann auch neue Gedanken, wie man aus dieser Situation, mit der man heute zu tun hat, weiter umgehen und aus ihr lernen kann.


Treten wir doch mal einen großen Schritt zurück und betrachten das große Ganze. Wer aufmerksam auf diese Welt blickt, wird viele Kleinigkeiten entdecken, die ohne Corona und dessen Begleiterscheinungen gar nicht möglich gewesen wären. Heute ist zum Beispiel Freitag. Insbesondere im Ruhrgebiet ist das ein Tag mit teils 100 Kilometern Stau und mehr. Hauptverkehrsstraßen, die sonst permanent verstopft sind, bleiben seit Wochen befahrbar, ja man reduziert teils sogar die Fahrspuren, weil der Verkehr das zulässt. Es gab während der Sperrungen in Wuhan zum Beispiel Nachrichten aus China, infolge deren die Luftverschmutzung rund um das Epizentrum um weit mehr als 80% gesunken ist. Dasselbe ist derzeit auch über Europa zu beobachten. Dass in Deutschland vielerorts die Feinstaubwerte nicht sinken, wo doch der Diesel-PKW so schädlich für die Umwelt sei, ist dann wohl eher den vielen grünen Feinstaubschleudern mit dem Namen Holzofen zu verdanken. Kachelmann lässt grüßen.


Trete ich noch einen Schritt weiter zurück, fällt mir noch mehr auf. Davon ausgehend, dass wir in einer Welt leben, die keinerlei Grenzen im Sinne von „Wir machen Urlaub überall“ kennt, sind lokale, demnach auf einen oder einige wenige Staaten begrenzte Veränderungen, wenig sinnvoll. Aus diesem Grund beziehe ich mich beispielsweise auf Aussagen und Statistiken, die den gesamten Globus betreffen. Rückschlüsse hieraus auf lokale Gegebenheiten kann dann jeder selbst herstellen.


2018 wurden rund 1,5 Bill US-Dollar weltweit an Renditen an Aktionäre ausgezahlt. Dem gegenüber stehen rund 350 Mrd. US-Dollar, die 2018 notwendig gewesen wären, um den Hunger auf der Welt zu beenden. Ich lasse an der Stelle mal völlig außer Acht, dass es milliardenschwere Subventionen gibt (und anderes), die diesem Gedanken noch fehlen. Jedoch genügen diese beiden Zahlen, um zu zeigen, was bei entsprechendem politischem Willen, Weltweit möglich wäre.


Breche ich diesen Gedanken herunter nur auf Europa oder nur auf Deutschland, dann wird erneut deutlich, wie sehr unser aller Wohl von einer funktionierenden Solidargemeinschaft abhängig ist. In Italien und Spanien wurde nach der Bankenkrise 2008 das Sozialsystem mitsamt seinem medizinischen System von den neoliberalen Befürwortern geschleift. Fast die Hälfte der Krankenhäuser, bzw. große Teile der medizinische Vorsorge, wurden abgeschafft. In den USA will die Regierung nun alle durch Corona indizierten, medizinisch notwendigen Behandlungen bezahlen. Mit einer vernünftigen Krankenversicherung für alle wären solche Maßnahmen nicht notwendig. Sogar Großbritannien hat inzwischen begriffen, dass ein System zur Krankheitsvorsorge für die Wirtschaft elementar ist, woraus aus meiner Sicht der Beweis erbracht ist, dass es genau diese Vorsorge ist, die jedem Menschen auf der Welt zuteil werden muss.


Inzwischen sollte eigentlich jedem klar geworden sein, dass sogar ein festes Grundeinkommen nicht nur notwendig, sondern sogar möglich wäre. Denn, wie schnell man in Kurzarbeit gelangen kann oder sogar der Verlust des Arbeitsplatzes droht, war für viele bisher undenkbar, jetzt erlebt man es am eigenen Leib.


Es ist im Moment eigentlich völlig egal, welches Stück des Lebens ich betrachte, die Auswirkungen und Möglichkeiten in der derzeitigen Situation sind in weiten Teilen unglaublich. Es werden Ressourcen frei, von denen ich glaubte, sie seien verloren gewesen. An einigen Dingen herrscht derzeit ein Mangel. Und genau durch diesen Mangel werden kreative Kräfte frei, die weit mehr als die Produktivität betreffen. Das reicht hin bis zu Künstlern, die plötzlich feststellen, dass ihre Kultur durchaus auch „frei“ sein kann, ohne restriktive Copyrights.


Wenn in dieser Krise eines mehr als deutlich geworden ist, dann, dass vieles möglich wurde, das vorher als undenkbar galt. Deswegen heute der Aufruf an alle: Lasst bitte nicht zu, dass die Neoliberalen uns in ihre alten Muster der Unfreiheit und Beschränkungen zurück fallen lassen!

Diese neoliberalen Marktgläubiger sind der Hemmschuh einer jeden fortschrittlichen Gesellschaft. Der Markt besitzt nämlich keine Intelligenz, diese Gesellschaft, wir alle zusammen, besitzen eine und haben nun die Chance, uns das zutrauen, was bisher als unmöglich und nicht durchführbar bezeichnet wurde. Die Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen und uns erneut einlullen zu lassen, ist größer denn je. Denn, was werden diese Neoliberalen uns nach der Krise erzählen? „Wäre der Markt nicht so beschränkt gewesen, wäre das alles nicht passiert!“. Zumindest wären die Worte so oder so ähnlich.


Eure Gedanken? Per Twitter an @HuWutze oder hier in den Kommentarbereich. bitte.

1 Kommentar:

  1. Die Worte les ich wohl und finde sie auch richtig und spannend. Nur, wie willst Du das machen? Wie möchtest Du erreichen, dass wir nicht wieder in alte Schemen zurück fallen? Eine gewohnte Position erneut einzunehmen ist doch wesentlich einfacher als sich eine neue Position regelrecht zu erarbeiten. Bedarf es hierbei doch viel persönliches Engagement, das ich nicht bei vielen sehe.

    Der Ansatz ist gut, was und wie weiter?

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